Patrick Ness, Siobhan Dowd: Sieben Minuten nach Mitternacht
Der Umgang mit Verlust und Trauer ist ein Prozess, den jeder Mensch im Laufe seines Lebens mehrfach durchleben muss. Jeder geht anders damit um. Wenn man bereits als Kind mit dem baldigen Tod eines Elternteils konfrontiert wird, scheint der Schmerz allgegenwärtig. Gefangen zwischen der Angst vor dem Tag des Abschieds und dem Wunsch, dass dieser bald vorbei sein mag, bekommt das Leben einen faden Beigeschmack. Autorin Siobhan Dowd, die 2007 ihrem Krebsleiden erlag, hat mit „Sieben Minuten nach Mitternacht“ (cbj) einen einfühlsamen Roman skizziert. Patrick Ness, der die Idee der verstorbenen Autorin aufnahm und vollendete, erhielt dafür 2012 den Deutschen Jugendliteraturpreis. Die Geschichte über den Jungen, der eine schwere Last auf seinen Schultern trägt, nimmt den Leser ab der ersten Zeile gefangen und gibt ihn erst mit den letzten Worten wieder frei. Hauptprotagonist Conor O`Malley ist gerade erst 13 Jahre alt geworden, als sich sein Leben für immer verändert. Jede Nacht wird er von dem gleichen Albtraum heimgesucht, aus dem er schweißgebadet erwacht. Doch auch am Tage gleicht sein Leben einem Albtraum. In der Schule von den älteren Schülern gequält und Daheim vom Anblick seiner an Krebs erkrankten Mutter erschüttert, verschließt er sich zusehends. Als eines nachts die große Eiche, die auf einem Berg hinter seinem Haus steht, zum Leben erwacht, lernt Conor eine wichtige Lektion über das Leben. Um sieben Minuten nach Mitternacht ruft das Monster erstmals seinen Namen, bevor es kurz danach an seinem Fenster erscheint. Zunächst hält Conor dies nur für einen bösen Traum. Doch dann wird er eines Besseren belehrt. Das Monster ist keinesfalls böse und möchte Conor auch nicht verletzen. Es möchte ihm Geschichten erzählen und dadurch sein schmerzendes Herz heilen. Und so kehrt es dreimal zurück und erzählt Geschichten über Gut und Böse, Wahrheit und Lüge sowie vom Leben und Tod. Am Ende dessen verlangt das Monster von Conor eine Geschichte, die er lange Zeit nicht zu erzählen bereit ist. Aber dann kommt der Tag, vor dem er sich so lange gefürchtet hat. Als er den Mut fasst, seine Angst in Worte zu fassen, gelingt es ihm loszulassen: Seine Mutter, seinen Schmerz und die Angst vor einem Leben ohne sie…
Dieses Buch ist intensiv und geht einem ans Herz. Die Geschichte von Conor setzt sich auf eine unbeschreibliche Art und Weise mit der Trauer und dem lähmenden Schmerz der Angst auseinander. Patrick Ness erzählt eine Geschichte, über den Abschied eines geliebten Menschen, über die Bewältigung der anschließenden Trauer und den Mut eines Neuanfangs. Während Conors Mutter gegen den Krebs ankämpft und hofft, gesund zu werden, hat Conor bereits die Ausweglosigkeit der Situation erkannt. Er hofft, dass seine Mutter gesund wird, weiß aber, dass sich dieser Wunsch nicht mehr erfüllen wird. Er fürchtet sich vor dem Tag, an dem er sie verlieren wird und hofft andererseits, dass dieser Tag bald hinter ihm liegen wird. Die innere Zerrissenheit des Jungen ist zutiefst ergreifend und bringt einen zum Weinen. Soviel Schmerz, Trauer, aber auch Hoffnung ist in Patrick Ness´ Worte eingefangen.
Die Schriftsprache ist einfach und ehrlich. Conors Gefühlswelt wird verständlich beschrieben. Seine Taten und Worte sind für jeden nachvollziehbar. Die aufgestaute Wut, die sich an die Trauer heftet, kommt auf unsagbare Art zum Ausdruck. Das Monster, das dem ersten Anschein nach eine Traumgestalt ist, wird zu einer vertrauten, fast schon väterlichen Figur, die ihn an die Hand nimmt und bei der Verarbeitung der Situation unterstützt. Die bildlichen Beschreibungen erzeugen vor dem inneren Auge des Lesers eine Szenerie, die durch die Zeichnungen von Jim Kay getragen werden. In der Haupthandlung finden sich drei Nebenhandlungen verstrickt, die sich aus den Geschichten der alten Eiche ergeben. Sie alle stehen für sich alleine und sind gleichzeitig Teil eines Ganzen. Jede Geschichte ist mit einer tieferen Sinnebene ausgestattet, die sich beim Nachdenken offenbart. Dadurch ist es dem Autor gelungen, die unterschiedlichen Arten des Lebens plakativ einzufangen und für Conor daraus eine Lehre abzubilden. Besonders gelungen ist das Resultat, weil die an sich traurige Geschichte trotz ihrer Dramatik ein befriedigendes Ende liefert, das Hoffnung schöpft. Das Ende macht Platz für den Anfang von etwas Neuem.
Ebenso intensiv und berührend wie der Roman ist auch die gleichnamige Kinofilmadaption unter der Regie von Juan Antonio Bayona mit Lewis MacDougall als Conor und Felicity Jones als seine Mutter.
Autor: Patrick Ness, Siobhan Dowd
Titel: Sieben Minuten nach Mitternacht
Verlag: cbj
Erschienen: 10. April 2017
ISBN: 978-3-570-40347-1
Taschenbuch
Alter: Ab 12
Preis: 9,99€
Ilustrationen von Jim Kay