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Tote Mädchen lügen nicht

Jay Asher: Tote Mädchen lügen nicht

Selbstmord ist ein schrecklicher Verzweiflungsakt. Für die Hinterbliebenen stellt sich fast immer die Frage, was den Verstorbenen zu eben jener Tat getrieben hat und ob man diese nicht durch das Eingreifen hätte verhindern können. Der amerikanische Autor Jay Asher inszeniert in seinem Roman Tote Mädchen lügen nicht ein ebensolches Szenario. Doch diesmal lösen sich alle Fragen im Laufe der Zeit, denn die Tote hat Vorkehrungen getroffen, um ihre Welt nicht still und heimlich zu verlassen, sondern ihr Handeln bis ins Detail zu erklären.

Als Clay eines Tages nach Hause kommt, findet er einen Schuhkarton vor seiner Tür. Er öffnet den  Karton, auf dem kein Absender steht und findet darin sieben Musikkassetten. Als er die erste anhört, verschlägt es ihm den Atem. Denn er hört die Stimme von Hannah, einem Mädchen für das er geschwärmt hat. Doch Hannah ist tot, sie hat sich das Leben genommen. Die Gründe und vor allem die Menschen, die sie dazu getrieben haben, will sie mit Hilfe der Kassetten offenbaren. Schnell findet Clay heraus, dass er eins der vielen kleinen Puzzleteilchen ist, die sich beim Anhören der Kassetten zusammenfügen. Eine Zeit voller Unbehagen, Wut, Angst und Trauer beginnt, aus der es kein Entrinnen gibt. Auf den dreizehn Seiten der Musikkassetten erzählt Hannah, was ihr widerfahren ist. Dreizehn Gründe, Ereignisse und Situationen, versucht sie anhand von dreizehn verschiedenen Menschen festzumachen, die ihren Entschluss zum Selbstmord bekräftigt haben. Jeder Person hat Hannah eine eigene Kassettenseite gewidmet, um sie für eine ihrer grausamen Taten zu bestrafen und sie für ihr Verhalten zu rügen. Unglaubliche Geschichten kommen an die Oberfläche, die einen Blick auf die heutige Gesellschaft und das eingefahrene Denken der Highschool-Schüler wirft. Doch vor allem offenbart Hannah ihre verletzte Seele und ihren Ruf nach Hilfe, der von ihren Mitschülern und sogar Lehrern ungehört blieb oder gar ignoriert wurde.

Jay Asher hat mit Tote Mädchen lügen nicht einen sehr spannenden und zugleich erschreckenden Jugendroman geschaffen. Bereits ab den ersten Seiten nimmt er den Leser gefangen, wobei das Ende bereits bekannt ist. Er beschreibt nicht den Selbstmord einer Schülerin im Detail, sondern blickt auf ungewöhnliche Weise auf deren Leben. Durch Sprünge in die Vergangenheit, die von Hannah selbst erläutert werden, bekommt man tiefe Einblicke in die Psyche des einsamen Mädchens. Zutiefst von den Mitschülern beeinflusst und durch ihre Gerüchte unter Druck gesetzt, fühlte sich Hannah ausgeschlossen und verlassen. Durch ihr Umfeld zu einem Menschen gemacht, der sie nie war, verlor das einst glückliche Leben nach und nach seine sonnigen Momente. Ein Ereignis zog ein weiteres nach sich, wodurch sich eine Welle von Diskriminierung und eine Abwärtsspirale der Persönlichkeit nach sich zog. Das Verhalten der Highschool-Schüler grenzt an Mobbing. Auch wenn Hannah nie wirklich ausgegrenzt oder angegriffen wurde, fanden ihre Mitschüler doch Mittel und Wege, sie für ihre Zwecke zu missbrauchen. Dass Hannah durch das Verhalten der anderen regelrecht zerbrochen wurde und den Boden unter den Füßen verloren hat, war lange Zeit nicht ersichtlich. Doch nachdem sie ihren Entschluss gefasst hatte, sich von dem verhassten Leben zu verabschieden, gab es Anhaltspunkte, die jedoch niemand sehen wollte. Selbst Clay, aus dessen Perspektive der Leser die Geschichte erlebt, konnte Hannah nicht von ihrem Plan abhalten. Und dass, wobei er sich stets bemühte und für sie schwärmte. Durch seine Person bekommt der Roman trotz des drastischen Endes einen Hoffnungsschimmer. Der Roman sensibilisiert die Leser in ihrem Verhalten und regt dazu an, die Mitmenschen wahr zu nehmen.

Asher vereint in seinem Roman sowohl Hannahs Erlebnisse, als auch Clays Reaktionen, als er sich die Kassetten anhört. Die anderen zwölf Personen, die ebenfalls die Kassetten von Hannah erhalten haben, werden nur namentlich erwähnt. Sie treten nur in Hannahs Erzählungen auf oder werden durch kurze Kommentare von Clay in den Fokus des Geschehens gerückt. Die gesamte Handlung umfasst nur wenige Stunden, in denen der Leser Clay quer durch die Stadt folgt und mit ihm gemeinsam wichtige Stationen aus Hannahs Leben besucht. Die Jugendsprache ist einprägsam und beschreibt den heutigen Zeitgeist. Erste Liebe, Enttäuschung, der Alltag an der Highschool und das Gefühl von Hoffnungslosigkeiten bilden das Grundgerüst der Handlung. Hannah und Clay sind zwei Teenager, die sympathisch in Szene gesetzt werden. Beide sind ehrgeizig, nett und hilfsbereit und unterstützen ihre Mitschüler und werden doch von der Grausamkeit des Lebens eingeholt. Am Ende des Buches hat man durchaus das Gefühl, dass man beide kennengelernt hat. Ihre Sicht auf das Leben ist stets nachvollziehbar. Selbst Hannahs Selbstmord ist aus ihrer Sicht einleuchtend und nachvollziehbar. Auch wenn es Asher gelingt, die Tat als logische Konsequenz eines unglücklichen Lebens zu beschreiben, wird die Tat nicht verherrlicht, sondern als schreckliches Unglück beschrieben. Die 282 Seiten lesen sich sehr flüssig. Es fällt einem schwer, dass Buch aus der Hand zu legen, weil man Hannahs Geschichte unbedingt bis ins Detail erfahren will. Asher spielt mit dem Gefühl des Voyeurismus, wenn er dem Leser die Chance gibt, dreizehn Jugendliche in ihrem Alltag zu beobachten und deren schicksalhafte Erlebnisse aus nächster Nähe zu erleben.

Wer dieses Buch mit Spannung gelesen hat, kann der Geschichte von Hannah seit dem 31. März 2017 in der gleichnamigen Serie auf Netflix noch einmal folgen.

 

Verlag: cbt

Autorin: Jay Asher

Titel: Tote Mädchen lügen nicht (Original: Thirteen Reasons Why)

Seiten: 283

Alter: 14

Preis: 9,99€

Taschenbuch

Erscheinungstag: 13.März 2017

ISBN: 978-3-570-31195-0

 

© Sandy Kolbuch