Corina Bomann: Sternstunde: Die Schwestern vom Waldfriede

Die Berliner Autorin Corina Bomann kann auf eine Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplare ihrer Romane mehr als nur stolz sein. Mit ihren historischen Sagas wie zuletzt »Die Farben der Schönheit« zieht sie ihre Leser in den Bann. Im Herbst 2019 musste Bomann zehn Tage in dem im Süden Berlins gelegenen Krankenhauses Waldfriede verbringen. Während der Genesung, bei der fähige Ärzte und liebevolle Pflegekräfte ihr zur Seite standen, war sie fasziniert von dem ältesten Gebäudeteil des Hauses. Nachdem sie bei einem Rundgang durch die Gänge des Hauses eine Vitrine entdeckte, in der Artefakte aus der langen Geschichte des Hauses ausgestellt waren, nahm sie Kontakt zur Geschäftsleitung des Hauses auf. Sie erhielt die Chronik einer Krankenschwester namens Hanna Rinder, die die Ereignisse im Walfriede ab Gründungsjahr 1920 bis zu ihrem Ausscheiden im Jahr 1956 niedergeschrieben hatte. Angelehnt an Hannas Beschreibungen erdachte Bomann »Sternstunde: Die Schwestern vom Waldfriede«, den Auftaktroman ihrer neuen Saga.

Im Fokus der Geschichte steht die junge Krankenschwester Hanna Richter, die im Jahr 1916 ihren Träumen nahe ist. Sie liebt ihre Arbeit im Sanatorium Friedensau und hat in Martin die Liebe ihres Lebens gefunden. Doch als der Einberufungsbefehl für Martin kommt, der wegen moralischer Bedenken keinen Dienst an der Waffe leistet, sondern stattdessen in den Sanitätsdienst geht, beendet ihre Zukunftsvision. Die Monate ziehen ins Land und Hanna sieht immer wieder schwerverletzte Männer, die aus dem Krieg heimkehren. Verlorene Gliedmaßen und bis zur Unkenntlichkeit entstellt, kehren sie mehr tot als lebendig heim. Dieses grausame Schicksal ereilt auch Martin, der beim Abtransport der Verletzten in einen Granatenregen geraten ist, deren Splitter seinen Arm und sein Bein zerfetzten. Bei seinem Anblick kann Hanna nur mit Mühe die Fassung bewahren. Seinen Wunsch, die geplante Eheschließung möglichst schnell zu vollziehen, kann sie ihm nicht erfüllen. Doch noch während sie ihr Versprechen herauszuzögern versucht, verschlechtert sich Martins Zustand und sie verliert ihn noch in der gleichen Nacht.

Die Jahre vergehen, in denen Hanna die schrecklichen Bilder der Nacht, in der ihr Verlobter starb, nicht vergessen kann. Sobald sie einen schwerverletzten Mann sieht, gerät sie in Panik und bricht in Ohnmacht zusammen. Als Krankenschwester kann sie ihrer Arbeit nur noch mit Mühe nachgehen. Als ihr Dr. Conradi am 1. Dezember 1919 das Angebot macht, ihm nach Berlin zu folgen und dort als Röntgenassistentin zu arbeiten, ist dies ihre Rettung.

Am 29. Dezember 1919 übernimmt Dr. Conradi gemeinsam mit seiner Frau das Waldsanatorium in Berlin-Zehlendorf für seine Gemeinschaft, die Siebenten-Tags-Adventisten. Die Verhandlungen mit dem Innenministerium sind hart und glücken nur mit viel Geduld und Durchhaltevermögen. Jedoch auch nur mit der Auflage, das geplante Krankenhaus binnen zwei Jahre zum Laufen zu bringen. Unter dem Namen Waldfriede soll das Haus fortan wachsen und gedeihen. Als Hanna im Februar 1920 im Waldfriede eintrifft, wird sie von Schwester Maria Kuch, den Conradis sowie dem Pfleger Carl Rohleder und einigen anderen freundlich aufgenommen. Das heruntergekommene Gebäude hat mit einem Krankenhaus wenig zu tun. Die Schwestern teilen sich ein Zimmer, um sich gegenseitig Wärme zu spenden und die Nahrung ist auf das Mindeste rationiert. Die ersten Monate sind für alle Anwesenden hart. Der Alltag ist von Putz- und Aufräumarbeiten geprägt und die angedachte Ausbildung als Röntgenfachkraft rückt zunächst in weite Ferne.

Während Dr. Conradi zwischen den Ämtern pendelt, um finanzielle Mittel für den Umbau und die Renovierung des Hauses zu bekommen, nimmt er auch alle Umwege war, um Instrumente, Mobiliar und medizinisches Material zu erlangen. Auch das Bauamt bereitet Probleme, sodass das Krankenhaus nur nach vielen Problemen weiter ausgebaut werden kann.

Während die Arbeiten voranschreiten und die Anstaltsfamilie wächst, entstehen Freundschaften. Auch zwischen Hanna und Dr. Conradi entsteht eine tiefe Verbundenheit. Frau Conradi leidet darunter, nach der Totgeburt ihres Kindes keine weiteren bekommen zu können. Der Besuch ihres Freundes aus Kindertagen bereitet ihr daher besondere Freude, was ihr Mann skeptisch beäugt, während er sich selbst fragt, wie sein Leben an der Seite einer anderen Frau aussehen würde. Als die Arbeiter im März 1920 ihre Arbeit niederlegen, ist auch das Waldfriede davon betroffen. Abermals droht der Zeitplan sich zu verschieben, was mit finanziellen Nöten verbunden ist und die Eröffnung des Hauses ungewiss macht. Auch das Kriegsgeschehen geht nicht an der Anstaltsfamilie spurlos vorbei. Die Ängste und Nöte sind groß, aber alle bemühen sich, einen Stillstand zu vermeiden. Als Hanna am Röntgeninstitut der Virchow-Klinik ihre Ausbildung aufnimmt, lernt sie auch das Leben in der Stadt kennen. Befähigt, nach der Ausbildung die Röntgenstation im Waldfriede zu übernehmen, wird sie zudem als Conradis Sprechstundenhilfe zu seiner engsten Vertrauten. Nach und nach werden die Positionen im Haus verteilt, welches am 15. April 1920 endlich eröffnet wird. Schnell wird das Haus zur Anlaufstelle der Berliner. Vor allem die Geburtsstation erfreut sich regem Zuspruch. Die Arbeitstage sind lang und Hanna fühlt sich erfüllt von ihrer Berufung. Auch privat scheint Hannas Leben eine Wendung einzuschlagen. Der neu angestellten Arzt Alexander Kirchfeld macht ihr den Hof und Hanna fühlt sich geschmeichelt, sehr zum Verdruss vom Dr. Conradi, der die sich anbahnende Beziehung zu torpedieren versucht, in dem er Hanna für die Krankenpflegeschule, die dem Waldfriede 1923 angeschlossen werden soll, gewinnen will. Doch nicht nur die Arbeit baut eine Barriere auf, auch Hanna selbst kann sich nicht auf die Beziehung einlassen, ohne an ihre verlorene Liebe Martin zu denken. Sie sucht Zerstreuung in der Arbeit, wo sie täglich Freud und Leid erlebt und immer wieder mit ihrer Ohnmacht bei schwerverletzten Männern zu kämpfen hat. Die Abwertung der Währung bedeutet eine erneute Herausforderung für das Krankenhaus, dessen finanzielle Sorgen erneut wachsen. Alexander, der die Klinik mittlerweile verlassen hat, will Hanna als seine Sprechstundenhilfe einstellen. Doch sie lehnt ab, wodurch ihre Beziehung auseinanderzudriften scheint. Als sie zudem einwilligt, in einem englischen Sanatorium Erholung zu finden, und dort zugleich die Sprache zu erlernen, geht Alexander auf Distanz. In England findet Hanna jedoch endlich einen Weg, um ihr Trauma zu überwinden. Als sie „geheilt“ ins Waldfriede zurückkehrt, muss sie sich jedoch der dortigen Situation und den Veränderungen stellen.

Wie man es von Corina Bomann gewöhnt ist, zieht sie einen bereits auf der ersten Seite vollends in die Geschichte. Seite um Seite will man erfahren, wie es mit den vielen Personen weitergeht. Man möchte dabei sein, wenn sie ihr Glück finden, aber auch traumatische Momente mit ihnen durchstehen. Stets verankert im Geschehen der Zeit und mit historischen Fakten belegt, erlebt man nicht nur eine Geschichte, die das Leben schreibt, sondern schöpft aus den Zeitzeugnissen und lernt sogar neue Aspekte der eigenen Lebensstadt kennen. Bomann erzählt ihre Geschichte sowohl aus der Perspektive der jungen Krankenschwester Hanna, als auch aus der von Dr. Conradi. Immer wieder wechselt die Perspektive zwischen Mann und Frau, zwischen Klinikleiter und Sprechstundenhilfe, zwischen Ehemann und Schwester, die nach dem tragischen Verlust ihrer Liebe die Hoffnungen hegt, eines Tages eine neue zu finden. Aber auch den Patienten widmet Bomann immer wieder Momente. Nicht jedem Patienten kann geholfen werden, einige Krankheiten sind zu schwer oder die Verletzungen zu groß, so dass das Krankenhaus zu ihrem letzten Aufenthaltsort wird. Doch es ist eine Geschichte, die das Leben schreibt, von dem niemand gefreit ist. Höhen und Tiefen, Glück und Verlust wechseln sich ab, wodurch die Spannung stets aufrecht erhalten wird. Es gibt keine Längen, was auch den authentischen Niederschriften zu verdanken ist, die sich in der Geschichte wiederfinden, an dem die Geschichte hauptsächlich spielt. Auch die Entwicklung der Medizin spielt eine Rolle in dem ersten Buch der Reihe. Viele Behandlungen scheinen aus der heutigen Sicht veraltet, waren sie doch um 1920 revolutionär. Und doch wirkt der Roman modern und zeitgemäß. Die Wünsche und Träume sind jene, die auch die Menschen 100 Jahre später umtreibt.

Schon jetzt bin ich voller Vorfreude bezüglich der Fortsetzung „Leuchtfeuer: Die Schwestern vom Waldfriede“, welche im Juni 2022 erscheinen wird.

Daten
Verlag: Penguin
Autor: Corina Bomann
Titel: Sternstunde: Die Schwestern vom Waldfriede (Die Waldfriede-Saga, Band 1)
Seiten: 608
Preis: 13€
Taschenbuch
ISBN: 978-3328602057