Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt ein Sprichwort. Doch was passiert, wenn es keine Hoffnung mehr gibt? Wenn das Leben eines Menschen plötzlich vorbei zu sein scheint, wenn er kein Licht mehr am Ende des Tunnels sieht und die Trauer und Dunkelheit ihn zu ersticken droht. Der Wunsch nach dem Tod wird übermächtig und scheint bald der einzige Ausweg zu sein, aus einem Leben, das ohne Glück und Freude nicht mehr lebenswert ist. Von Außenstehenden missverstanden, doch von jenen, die den Selbstmord als letzten Ausweg, sogar als logische Konsequenz ihres Daseins sehen, kommt eine Rettung meist zu spät.
Wie oft hört und sieht man in den Nachrichten von tragischen Fällen jener, die keinen anderen Ausweg mehr gesehen haben, als ihr Leben durch die eigene Hand zu beenden. Wie schnell jedoch ein traumatisches Ereignis einen Menschen an genau diese Grenze bringen kann, an der der eigene Tod als Ausweg unumgänglich scheint, bebildert Manuela Inusa in ihrem ersten Jugendroman „Morgen und die Ewigkeit danach“. Die Geschichte handelt von der 17jährigen Nathalie, die nach der Scheidung ihrer Eltern eine lange Zeit nur mit ihrer Mutter alleine lebte. Doch kurz vor ihrem 12. Geburtstag erfuhr sie, dass ihre Mutter bald ihren neuen Freund Daniel heiraten würde. Dass bereits ein Geschwisterchen unterwegs war, begeisterte Nathalie nicht besonders. Doch kaum war Henry auf der Welt, tat sie alles für ihren kleinen Bruder, der das größte Glück in ihrem Leben bedeutete. Sie überhäufte ihn mit Liebe und Zuneigung und erfüllte ihm jeden Wunsch. Als Henry im Alter von 4,5 Jahren auf tragische Weise ums Leben kam, endete auch Nathalies Leben im gleichen Moment. Sich selbst die Schuld an dem Unfall gebend, verschlug es ihr die Sprache. Nicht mehr in der Lage, zu sprechen und aktiv am Leben teilzunehmen, verlor Nathalie zusehends ihren Lebenssinn. Sie versuchte sich das Leben zu nehmen, wurde jedoch im letzten Moment aufgefunden. Hilflos trafen ihre Eltern den schweren Entschluss und ließen sie in eine psychiatrische Anstalt einweisen.
Im Hopeful Medical Center beginnt die Geschichte. Dr. Fynn und die Pflegerinnen bemühen sich darum, Nathalie aus der Phase ihrer Trauer zu befreien. 37 Tage verbringt sie schweigend in ihrem Zimmer oder in dem trostlosen Speisesaal mit den anderen Patienten. Dort trifft sie auf die bipolare Tamara, die am Borderline leidende Carly, die depressive Betthany, die ihren Frust mit Essen zu stillen versucht und auf Brenda, die nach jahrelanger Schändung durch ihren Stiefvater überall Penisse sieht. Sie alle haben versucht, ihr Leben zu beenden, doch niemandem ist es gelungen. Auch Amber, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Realitätsverlust leidet und nach ihrem Suizid in den 60er Jahren zu leben scheint, und die eigentlich lebenslustige Summer gehören zu den Patientinnen. Doch obwohl sie alle das gleiche Schicksal teilen, gelingt es Nathalie nicht, sich ihnen mitzuteilen. Sie bleibt stumm und ihre Fortschritte lassen auf sich warten. Erst als Lucas in ihre Mitte stößt, der bereits zum 7. Mal dem Tod ins Auge blickte, wird Nathalie in ihrer Lethargie gestört. Sie fragt sich, was ihm zugestoßen ist, dass er die Todessehnsucht nicht hinter sich lassen kann. Von seiner dennoch meist fröhlichen Art motiviert, sucht sie seine Nähe. Als ihr unerwartet Worte über die Lippen kommen, ist sie selbst erschrocken. Sie entdeckt die Art, sich mitzuteilen völlig neu, was Dr. Flynn als positives Zeichen wertet. Dennoch liegt ein weiter Weg vor ihr. Die Freundschaft zu Lucas beflügelt Nathalie in ihrem Denken. Sie fühlt sich zu dem Jungen hingezogen, der genauso kaputt zu sein scheint, wie sie selbst. Die beiden kommen sich näher und entwickeln Gefühle füreinander. Aber beide müssen Rückschläge der eigenen Psyche ertragen, die sie im Heilungsprozess wieder weit nach hinten werfen. Die Tage, Wochen und Monate vergehen und immer wieder werden Nathalie und Lucas von ihren inneren Dämonen aus der Bahn geworfen. Panikattacken und erneute Suizidversuche bestimmen ihr Leben, aber dann scheint der Moment gekommen, in denen sie eine lebensverändernde Erkenntnis erlangen.
Schon in ihren Romanreihen „Valerie Lane“ und „Kalifornische Träume“ erzählte Manuela Inusa von Frauen, denen das Leben nicht immer wohl gesonnen war. Neben glücklichen Momenten konnten ihre Protagonistinnen auch von traumatischen Ereignissen berichten, die ihnen fast das Herz gebrochen hätten. Ihr Jugendroman, dessen Geschichte von Beginn an ein trauriges Ereignis zu Grunde legt, ist menschlich und nimmt den Leser sofort gefangen. In einer Welt, in der täglich von Todesfällen – seien es Opfer der Pandemie oder von Gewaltverbrechen – berichtet werden, scheinen die dunklen Zeiten allgegenwärtig. Kaum ein Mensch hat noch keinen Verlust erleiden müssen, diesen aber aus eigener Kraft überwinden können. Die junge Nathalie, die sich jedoch selbst die Schuld am Tod ihres Bruders gibt, wird nicht nur von der Trauer um ihn übermannt, sondern auch von den Schuldgefühlen aufgefressen. Ihr Schmerz geht soweit, dass sie sich selbst nicht mehr erlaubt, ein Leben zu führen. Jeder Moment, den sie mit Freude oder einem Lächeln auf dem Gesicht erleben könnte, wird für sie zur großen Qual. Denn wie kann sie auch nur einen glücklichen Gedanken haben, wenn das Leben ihres Bruders bereits beendet ist. In einer Spirale aus düsteren Gedanken gefangen, bestraft sie sich (unbewusst) selbst zu jeder einzelnen Minute. Ohne Rücksicht auf ihre Eltern stellt sie ihre Trauer in den Vordergrund, unfähig, Hilfe anzunehmen. Doch dann sieht sie plötzlich ein kleines Licht am Ende des Tunnels, der ihr Hoffnung macht. Mit viel Gefühl erzählt Inusa ein wundervolle Geschichte, die trotz aller Dramatik berührt und gerade in den momentan düsteren Zeiten Hoffnungen auf einen Neuanfang macht.
Daten
Verlag: cbj
Autor: Manuela Inusa
Titel: Morgen und die Ewigkeit danach
Seiten: 320
Preis: 13,00€
Taschenbuch
ISBN: 978-3-570-31380-0